Gemeinschaftsausstellung „Gegenstandslos“

Aktvitäten, Gemeinschaftsausstellungen

Stadtmuseum Weilheim
Marienplatz 1, 82362 Weilheim i.OB, Tel. 0881-682601
www.kunstforum-weilheim.de, Di-Sa 10-17, So 14-17 Uhr, Montag geschlossen
GEGENSTANDSLOS
Eröffnung: 22.10., 11 Uhr, 22.10.-20.11.16

Gegenstandslos arbeitende Mitglieder des Kunstforums Weilheim e.V. zeigen in dieser Herbstausstellung Ihre Werke.  GEGENSTANDSLOS bedeutet in der bildenden Kunst auch nonfigurativ, beziehungslos zu einem Gegenstand, Gegenstände oder Figuren werden losgelöst oder aufgelöst, abstrahiert. Stilrichtungen wie Konstruktivismus und Suprematismus oder abstrakter Expressionismus gehören zu dieser Kunstrichtung. Arbeiten dieser Ausrichtung in einem historisch geprägten Museum zu zeigen, ist eine Herausforderung, sind die Exponate der Dauerausstellung – dem Zeitgeist entsprechend – auf Figuren, Landschaften oder Architekturen bezogen. Man darf gespannt sein, wie sich diese Arbeiten in den Räumen des Stadtmuseums präsentieren.

Laudatio von Thorsten Fuhrmann zur Ausstellung

Grenzenlos – Einführung zur Ausstellung im Stadtmuseum Weilheim
22.Okt. – 20.Nov. 2016

Sehr geehrte Damen und Herren,
„Ist das Kunst oder kann das weg?“ Ist die hier gezeigte Kunst gegenstandslos, im Sinne von hinfällig, obsolet? Nach welchen Kriterien kann ich die Qualität eines Kunstwerks bemessen, wenn ich nicht Handwerk und Genauigkeit der Abbildfunktion zu Grunde lege?

Je mehr ich für das Thema recherchiert habe, desto schwieriger wurde es: Außer vielleicht Musik, Performance und – wie jetzt in Weilheim erlebt – Lichtkunst, gibt es ja keine immaterielle – gegenstandslose – Kunst, und die erwähnten benötigen in der Regel Werkzeuge und Instrumente zu ihrer Herstellung oder Präsentation. Also führt uns diese Denkrichtung nicht weiter. Die Definition der wesentlichen Begriffe und Kunstrichtungen werden unterschiedlich gesetzt, und ich fand Texte wie diesen, aus dem ich nur einen Satz zitieren möchte: „Die durch den weißen Raumgrund verkörperte Gegenstandslosigkeit meint nicht nur die Abwesenheit von Gegenständen, sondern überdies die Abwesenheit von sozusagen gegenstandslosen Gegenständen, eben ein positiviertes Nichts, aus dem – ex nihilo – das schwarze Quadrat als Paradigma eines gegenstandslosen Gegenstandes hervortritt.“
Wenn Sie hier inhaltlich noch nicht ausgestiegen sind, kann ich Ihnen gern die Quelle nennen.

Ich möchte vielmehr auf die kunsthistorischen Stränge kommen, von denen wir die hier gezeigten Werke herleiten können:
Gegenstandslose Kunst verfolgt keinerlei abbildende Absicht, sondern entwickelt eine Bildsprache, die die eigenständige Realität des Kunstwerkes betont. Kurz nach 1900 begannen die ersten Maler und Bildhauer sich von der Wiedergabe der realen Welt zu entfernen, z.B. Wassily Kandinsky über zahlreiche Entwicklungsstufen hin zu abstrakten Kompositionen mit organischen und geometrischen Formen. 1910 legte er mit „Über das Geistige in der Kunst“ die theoretische Grundlage für die neue Richtung in der Malerei. Weitere Wegbereiter waren die Künstler Sonia Delaunay-Terk, Robert Delaunay, Francis Picabia, Piet Mondrian und Sophie Taeuber-Arp. In der Bildhauerei entstanden die eigentlich gegenstandslosen Werke erst um 1920 von Alexander Archipenko, El Lissitzky und Henry Moore.

Seit ihren Anfängen hat Abstrakte Kunst in immer neue -ismen, Stilrichtungen und Zusammenhänge entwickelt: Konstruktivismus, Suprematismus, Abstrakter Expressionismus, Informel, Tachismus usw. Auch das Bauhaus und seine Lehrer waren wichtige Impulsgeber. Die Reduktion, die Zurücknahme der Farben, die Verwendung von geometrischen Grundelementen, die Zurücknahme der künstlerischen Handschrift und die Entwicklung aus mathematischen Grundlagen stehen für die konkrete Kunst, den Suprematismus, den Konstruktivismus, die „de Stijl“-Künstler bis hin zur Minimal Art. Der Tachismus in den fünfziger und frühen sechziger Jahren geprägt von Wols´ (Alfred Otto Wolfgang Schulze) gegenstandslos-abstrakten Bildern, impulsiv und spontan. Eine Dynamik aus Linien und unregelmäßigen Farbflächen. Weitere Richtungen: Informel, Action Painting, Abstrakter Expressionismus. Bekannte Künstler sind z.B. Emil Schuhmacher, Hans Hartung, Georges Mathieu, Antonio Saura, Jackson Pollock. Noch weiter führt die gegenstandslose Kunst in die Concept Art, bei der ein Werk nicht oder noch nicht in materieller Form existiert, sondern die Idee eines Werkes öffentlich gemacht und zum Kunstwerk erklärt wird. Allerdings sind die Skizzen, Pläne, Anweisungen und andere Dokumente ohne Frage gegenständlich und häufig abbildend.

Form, Fläche, Farbe – Kann man ein Kunstwerk darauf reduzieren? Können wir die gegenstandslose Kunst nur aus dem Werk heraus verstehen? Bazon Brock spricht von der „intrinsischen Bedeutung“ eines Kunstwerks: Wir können kein Werk von der Entstehungsgeschichte und den Lebens- und Schaffensbedingungen des Künstlers lösen. Verschiedene Künstler können zu ähnlichen bildnerischen Ergebnissen kommen, auch wenn die „intrinsische Bedeutung“ sie voneinander unterscheidet.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: „Kunst ist, was du als solche verkaufen kannst“  hat Andy Warhol einmal formuliert. Wollen wir aber die Entscheidung, was Kunst ist, wirklich nur dem Kunstmarkt überlassen? Hat Kunst nicht andere Aufgaben und Werte, als einen undurchsichtigen Kunstmarkt zu versorgen? Kunst dient der Sinnstiftung einer Gesellschaft. „Das Kunstwerk hat Wert nur insofern, als es von Reflexen der Zukunft durchzittert wird.“(Andre Breton nach Walter Benjamin). Dazu muss der Künstler auch eine Intention mit seinem Werk verfolgen: Ob der Betrachter in dem Kunstwerk erkennt, was der Künstler beabsichtigt hatte, ist bereits eine andere Frage. Das sofortige Verstehen kann auch ein Hinweis auf ein oberflächliches, illustratives Kunstwerk sein. Kunst besteht im Dialog und wird immer wieder neu definiert. „Wenn Kunst alles sein darf, dann ist sie im Grunde nichts…“

Hier und jetzt haben Sie nun die Möglichkeit, sozusagen aus erster Hand, von den anwesenden Künstlern zu erfahren, wie und warum sie was gemacht haben: Fragen Sie sie einfach. Aber: Nicht alle Künstler können mit Worten ihre Werke erklären: Dann hätten sie ihre Ideen auch nur textlich beschreiben können. D.h. es muss etwas geben, was der Künstler nur so ausdrücken kann. Eine bildnerische, objekthafte Präsenz, die die Idee in ein Kunstwerk übersetzt, egal ob gegenständlich oder gegenstandslos. Das Denken in Bildern, das Zeigen von nicht Sagbarem können zur Erkenntnisgewinnung beitragen. Lassen Sie sich auch von den Werktiteln leiten, die zum Verständnis helfen können.

Im Gespräch beim Aufbau haben wir unwillkürlich immer wieder versucht, in den Formen und Farben Bezüge zur gegenständlichen Welt herzuleiten, wie etwa zu Mauern bei Susanne Kohler oder zu tierischen Formen bei Katrin Bach. Die Linien bei Viktoria Müller, die Farbflächen bei Sibylle Eras und die Schichtungen bei Hajo Düchting bieten vielfältig Raum für Assoziationen. Wolf Schindler und Thorsten Fuhrmann arbeiten mit Farbe und Fläche. Frank Fischer setzt bewußt und intuitiv Zeichen. Bei Karin Karrenbauer-Müller meint man die Struktur des Materials zu spüren. Michael Kreuter, Renata Nemetz, Christine Perzul, Heide Karin Konwalinka sind mit Werken, die im Sinne des abstrakten Expressionismus stehen, vertreten. Bei den vier kleinen Arbeiten von Konstanze von Websky lohnt das genaue Hinschauen: keine große Geste, sondern feine Kombination von Form, Technik und Farbe.
Sachlicher wird es bei Aloisia Fischer, der Farbstreifen-Serie von Wolf Schindler und den Werken von Ilka Niederfeld: keine mathematische Kühle, aber strukturierte, gegliederte Werke mit eigener Handschrift. Andrea Kreipe bringt mit ihrer Monotopie die Gegensätze von Quadrat und Kreis zusammen und Reinhard Giebelhausen zeigt, dass Fotografie nicht das Medium der Dokumentation und Abbild der realen Welt sein muss. Schließlich noch die Plastiken: Monika Propachs „gegenstandsloser Gegenstand“ beweist allein durch seine physische Präsenz, dass sich gegenstandslose Kunst durch den fehlenden Abbildcharakter definiert und nicht durch materielle Auflösung. Die Oloide von Viktoria Müller sind Keramiken mit einer Anmutung an Metall und Holz; Die Form entwickelt aus Kreisbögen, seriell und mathematisch klar. Diese Vielfalt in der Gleichzeitigkeit wirft auch Fragen auf: Der Kritiker Klaus Honnef hat kürzlich auf seiner Facebook-Seite einen Text veröffentlicht, in dem er das Ende
der Geschichte der Kunst postuliert: Die vielfältigen Kanäle, die Funktionalisierung und Kommerzialisierung machen die bisher bekannte Kunst obsolet; diese Kunst verliert ihr Klientel. „Wer kommt schon noch zu Ausstellungen von No Names,…?“ Auch an die Künstler geht die Aufforderung zu mehr relevanten Arbeiten. Kommerzialisierung und das schnelle Veröffentlichen in sozialen Netzen schaffen eine künstlerische Beliebigkeit, so Karlheinz Schmid in der aktuellen „Kunstzeitung“.

Es geht auch anders: das Kunstforum und die Künstler vor Ort leisten Basisarbeit mit ihren Ausstellungen und Werken, und es zeigt sich, dass entgegen dieser pessimistischen Sicht, doch reges Interesse an so sperrigen Themen wie „gegenstandslos“ besteht. Abschließend möchte ich vor allem die ausstellenden Künstler warnen: Ein französischer Arzt hat herausgefunden, dass abstrakte Künstler gesundheitlich deutlich stärker gefährdet sind, als gegenständlich arbeitende Künstler: Sie neigen zu „nervöser Überreizung, emotioneller Unruhe, krankhaftem Juckreiz, Arterienverkalkung, Angina pectoris, Herzmuskel-Infarkt oder Hirnschlag.“ (Gefunden in einem Spiegel-Artikel von 1960.)
Eine Untersuchung über die gesundheitlichen Gefahren beim Betrachter steht noch aus. So bitte ich Sie, liebe Gäste, trotz dieser Gefahren, sich auf die Werke einzulassen, zu schauen, zu diskutieren und zu spüren.
Vielen Dank.

Thorsten Fuhrmann, art activities Kunstagentur Thorsten Fuhrmann M.A.

Quellen, u.a.:

  • art-magazin 06, 2004
  • Bazon Brock, Der Barbar als Kulturheld
  • Klaus Honnef, 2016
  • Kul-Tick.de
  • Kunstwissen.de
  • Kunstzeitung 242, 2016
  • Propyläen Kunstgeschichte Bd. 12
  • Der Spiegel, 1960
  • Westkunst, Ausstellungskatalog, 1981