Ausstellung „home sweet home“

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Home sweet Home

Gemeinschaftsausstellung des Kunstforum Weilheim e.V.
im Stadtmuseum Weilheim vom 15. Januar bis 26. Februar 2022

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Fotos: Frank Fischer

Übersicht: Liste der Exponate (PDF)


Ein paar nicht sehr geordnete Gedanken zu Lebens- und Wohnsituationen –
und zu einem Kunstprojekt des Kunstforums Weilheim 2021/22

von Stefan König

Der Vorschlag, sich in der Herbstausstellung des Kunstforums Weilheim dem Slogan „Home sweet Home“ zu widmen, hat mich auf Anhieb fasziniert, ja geradezu elektrisiert. Dieses Thema ist so vielschichtig wie bedeutsam, und es trägt nicht nur die Begriffe „Haus – Behausung – Lebensstil – Stil“ in sich, sondern es hat grundsätzlich damit zu tun, wie wir von heute an und also in die Zukunft hineinleben wollen, sollen, nein, nur mehr leben und wohnen können.
Meine eigene Meinung ist für den Augenblick auch gar nicht wichtig. Es genügt aufzuführen, welche gesellschaftlichen Debatten in der jüngeren Vergangenheit angestoßen worden sind – und welche Bilder uns täglich allein schon über die Nachrichtensendungen erreichen.

Ist Eigenheimbau noch gut?

Fangen wir bei uns an, in Bayern, in Deutschland, im vergleichsweise wohlhabenden Mitteleuropa. Vor einigen Monaten erst ist die Diskussion aufgekommen, inwieweit der Bau von Eigenheimen noch zeitgemäß sei. Ist der Flächenverbrauch entsprechend der geringen Einwohnerzahl überhaupt vertretbar? Dürfen (Klein)Städte überhaupt noch Flächen für Einfamilienhäuser, Doppelhäuser, Reihenhäuser ausweisen, wo doch in vielen Regionen mit zunehmendem Zuzugsdruck zu rechnen ist?
Und wie steht’s eigentlich um den sozialen Wohnungsbau? Nicht allzu gut, ganz offensichtlich. Über Jahrzehnte haben Kommunen Sozialwohnungen an Investoren verkauft, jetzt fehlen sie fast überall.
Und was passiert mit den Immobilien- und Mietpreisen? Selbst ein gutes Stück fernab der Metropolen steigen die Preise immer weiter; für viele Menschen ist Erwerb von Wohneigentum nicht mehr möglich und, schlimmer noch, für immer mehr Menschen sind auch die Mieten nicht mehr leistbar.
Interessant in diesem Zusammenhang: Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person ist seit 1991 (34,9 qm/pers) bis heute (2019: 47 qm/pers) in kontinuierlichem Anstieg begriffen. Woraus sich die Frage ableitet, wieviel Wohnraum, wie viele PS, wieviel Parkfläche, wie viele verschiedene Wurst- oder Marmeladensorten wir „benötigen“ – immer auch unter dem Aspekt des Ressourcenverbrauchs, des Klimawandels, der sozialen Gerechtigkeit.

Wie ist das mit der sozialen Gerechtigkeit?

Die einen haben ein Castle, die anderen ein Home, Manche sind homeless. Wir tun so, als wäre das ein legitimer Normalzustand. Warum ist das so, dass ein Teil der Bevölkerung – um vorerst einmal nicht global, sondern regional zu denken – über enormen Grund- und Immobilienbesitz verfügt und wahrhafte „Castles“ bewohnt, während andere mehrere Jobs annehmen müssen, um die Mieten bezahlen zu können?
Gehobenes Wohnen gilt hierzulande ähnlich wie die Fahrzeugmarke und -größe als Attribut des Erfolges. Es ist ein Sinnbild des Wohlstandes, wobei man eigentlich von Glück sprechen müsste: Es bedarf zunehmend glücklicher Umstände (Herkunft, Bildungschancen, Erbschaften, Karriere u.Ä.), um sich Derartiges leisten zu können. Anders gesagt: Wer in den Plattenbau hineingeboren ist, wird es schwer haben, solchen Luxus irgendwann für sich in Anspruch nehmen zu können. Die Chancen sind ungleich verteilt.
Um bei der (Un)Gerechtigkeit zu bleiben: Denke ich „Home“, drängen sich mir nicht nur Bilder aus Zeitschriften wie „Schöner wohnen“ auf (die auch, ja, zugegeben), sondern solche von Kartonbehausungen in New York City, von Slum-Siedlungen in Indien oder Marokko, von den müllig gestapelten Habseligkeiten obdachloser Menschen unter Brücken oder in brachliegenden Eingangsbereichen.
Was bedeutet Behausung, Dach überm Kopf, für Menschen ohne feste Bleibe? Wie empfinden Asylbewerber ihre Quartiere in den Sammelunterkünften? Als Castle sicher nicht, wahrscheinlich nicht einmal als Home.
Und was bedeutet es, auf der Flucht zu sein, das eigene „Home“ verlassen zu haben, in Zelten oder auch nur unter Zeltplanen unterzukommen?
Alles Fragen, die von der Gesellschaft beantwortet werden müssen. Davor müssen sie aber auch erstmal gestellt werden, unüberhörbar laut. Das können NGOs sehr gut – die Kunst kann es auch!

Leerstand – auch als Folge von Corona

Corona, noch längst nicht ausgestanden, zeitigt unübersehbare Folgen. Wahrzunehmen ist das an den Schließungen von Geschäften, am zunehmenden Leerstand, wie er vor allen in Kleinstädten immer offensichtlicher wird.
Leerstehende Gewerbe-Immobilien waren ehedem „Homes“, vielleicht sogar „Castles“ nachgefragter Angebote, Symbole florierenden Lebens in einem Gemeinwesen.
Bei all der Bedauerlichkeit dieser Situation, birgt sie für die Kunst doch gewisse, zumindest temporäre Chancen: Unter Umständen bieten sich dadurch zeitlich begrenzte Ausstellungsmöglichkeiten – für eine Ausstellung wie „Home sweet Home“ trefflicher noch als für alles andere…
Und überhaupt war ja das Kunstforum Weilheim längere Zeit unbehaust und die Ausstellungsmöglichkeiten in der Stadt und der näheren Umgebung waren überaus dürftig. Die Kunst war nicht homeless, doch lebte sie in prekären Umständen. Wenn das Kunstforum Weilheim nun zumindest eine Anlaufstelle im der früheren Weilheimer Buchhandlung Stöppel bekommt – zusammen mit dem Stadtmuseum und dem Lichtkunstverein –, ist das vielleicht noch nicht „Home sweet Home“, aber doch ein guter und großer Schritt.

Wie bauen, wie wohnen, wie leben?

Doch noch einmal zurück zum Thema „Home sweet Home“ als künstlerischem Motto und Auftrag. Auch diese Fragen stellen sich für mich: Wie muss dem Klimawandel und der sozialen Ungleichheit bauend und wohnend begegnet werden? Welche Architektur ist zukunftsfähig, welche Baustoffe, welche Materialien sind es? Wie wird soziales Wohnen und Zusammenleben gestaltet?
Ist es nicht wie beim Auto, das man zugunsten des ÖPNV öfter stehen lassen sollte – muss nicht auch beim Bauen und Wohnen ein Umdenken stattfinden, weg vom Einzelhaus, hin zu Wohnanlagen?
Wieviel Individualität verträgt unsere Gesellschaft, wieviel Gemeinsinn ist erforderlich?

„My Home is my Castle“: Was ist Home, was Castle?

Das Castle hat marmorne Böden, in den Bädern goldene Wasserhähne, einen denkenden Kühlschrank – nein, so geht es nicht. Ein Castle lässt sich eigentlich nur mit Saint-Exupéry erklären: „Man muss ihnen sagen: Ich habe ein Haus gesehen, das hunderttausend Franken wert ist. Dann schreien sie gleich: Ach wie schön!“ (Der kleine Prinz, 1946).
Nun sind die Geschmäcker bekanntlich verschieden, und so sind den einen das wenige Quadratmeter aufweisende Tiny-House ein wahres Castle, während andere mehrere hundert Quadratmeter Wohnfläche benötigen, um sich wohl zu fühlen.
Die Wahrnehmung, was nun Home und was Castle ist, fällt bei jedem Menschen anders aus. Es fallen Begriffe wie Heimeligkeit, Nest, Wohnqualität, Immobilienwert, Plattenbau, Villa, Wohnungsnot, Mietpreisbremse, Wertsteigerung, Niedrig-Energiehaus, Passivhaus, Eigenheim und Verbot der Ausweisung von Eigenheim-Baugebieten, Mehrgenerationenhaus, Stadtflucht und, und, und.
Das Thema „Home sweet Home“ ist vielgestaltig. In einer Zeit, die von sozialer Ungleichheit, Klimawandel und Corona-Folgen geprägt ist, tritt dies noch deutlicher zutage.
Ich bin sehr gespannt, wie die Kunst an das Thema herangeht. Welche Denkanstöße sie zu liefern vermag. Antworten kann man nicht erwarten, nicht verlangen – aber eben Impulse für eine geschärfte Wahrnehmung und für neue Perspektiven.